Von der Straße zu Concordia - die Geschichte von Ema

Als sie sieben Jahre alt war, fand sie ein Priester alleine auf der Straße und brachte das kleine Mädchen ins St. Paul Center.

Mit 23 Jahren blickt Ema bereits auf ein Leben voller Prüfungen, Ängste, Veränderungen und Fragen zurück. Es sind viele Fragen, die sie sich seit ihrer Kindheit gestellt hatte - seit sie als kleines Mädchen allein auf der Straße lebte. Selbst in den ärmsten Vierteln Rumäniens ist es ungewöhnlich, dass ein fünfjähriges Kind alleine lebt, alleine im Park ist, wo es von Fremden umgeben ist, während alle anderen Kinder mit ihren Eltern oder Großeltern zusammen sind.

"Warum liebt mich meine Mutter nicht? Warum ist sie nie bei mir?"

das fragte sich Ema sehr oft. Diese Einsamkeit ohne Mutter nahm in Emas Kindheit einen großen Teil ihres Lebens ein. Als sie sieben Jahre alt war, fand sie ein Priester alleine auf der Straße und brachte das kleine Mädchen erstmals ins St. Paul Center. Heute ist Ema eines der vielen Kinder, die bei CONCORDIA aufgenommen wurden und werden. Eines der Kinder, denen geholfen wurde als ihre Not groß war.

Insgesamt verbrachte Ema 14 Jahre in den Einrichtungen von CONCORDIA. Heute ist sie Studentin an der Fakultät für Sozialarbeit in Bukarest und bereitet sich darauf vor, Sozialarbeiterin zu werden, weil sie anderen Kindern helfen möchte, die von ihren Eltern verlassen wurden.

Ema ist jetzt eine erwachsene Frau, die lächelnd und selbstbewusst in die Zukunft schaut. Aber sie weiss, dass ihr Leben nicht dasselbe wäre, wenn sie an diesem Tag nicht nach St. Paul gekommen wäre.

 

Wie alles begann

Emas Lebensgeschichte begann mit einer traurigen Kindheit in einer der ärmsten Gegenden von Bukarest, in Ferentari. Dort lebte sie an einem Ort, den sie zwar als Zuhause bezeichnet, der aber nicht mehr als ein Verschlag ohne Wasser, Wärme und Türen war. Zusammen mit ihrem älteren Bruder, der geistig beeinträchtig war, an Hepatitis litt und nach einigen Jahren verstarb, lebte sie dort mit ihrer Mutter und Großmutter zusammen. 

Doch ihre Mutter war nur selten bei ihr, an gemeinsame Momente erinnert sie sich kaum. Auch Vater gab es keinen mehr, er starb an einer Herzerkrankung, als sie noch ein Baby war. 

Ema erinnert sich, dass sie früher den ganzen Tag Cartoons auf einem kleinen Fernseher schaute. Ihr einziges Spielzeug war eine Plastikpistole. Manchmal ging sie alleine in den Park. Wenn es etwas zu essen gab, dann war das meistens Brot, Süßigkeiten oder Äpfel. Sie spielte nicht mit anderen Kindern in der Nachbarschaft und war ein sehr zurückgezogenes Mädchen, verschlossen, schüchtern und verängstigt.

Ihre Lebenssituation verschlimmerte sich, als die Mutter ihre Kinder nicht mehr unterstützen konnte. Denn sie fand keine anständige Arbeit, um die ganze Familie mit Essen zu versorgen.

Als Ema 7 Jahre alt war verschwand ihre Mutter.

Ihre Oma erzählte ihr, dass ihre Mutter das Land verlassen habe um Kredithaien zu entkommen, denen sie Geld schuldete. In ihrer Verzweiflung hatte sich Emas Mutter einen Kredit mit Wucherzinsen genommen. Als diese Männer die Schulden einforderten, brachen sie in den Verschlag ein und fragten nach der Mutter. Ohne Mutter wurde das Leben immer schwieriger. Der Bruder war krank und die Großmutter war als alte Frau nicht fähig, die Kinder zu versorgen.

Eines Nachts rannte Ema von zu Hause weg.

Das war der Moment als ihr alles zu viel wurden. Ema ging ziellos durch die Straßen von Bukarest und legte sich abends müde auf die Bank einer Bushaltestelle. Dort fand sie ein Priester, der sie fragte, ob sie allein sei, ob sie einen Platz zum Schlafen brauche. Der Priester brachte sie ins St. Paul Center von CONCORDIA in Bukarest. Der erste Tag in St. Paul ist ihr noch in lebendiger Erinnerung: 

"Es war ein gemütlicher und warmer Ort. Ich wurde von allen PädagogInnen freundlich empfangen. Später gingen wir mit den anderen Kindern in den Park, wo wir zusammen Sandwiches aßen. Auch, wenn ich wusste, dass dies nicht meine Familie war, so fühlte ich mich doch wie in einer Familie aufgehoben."

Einen Monat lebte sie in St. Paul, bevor ihre Großmutter sie schließlich fand und in den Verschlag zurückbrachte. Eine tiefe Traurigkeit erfüllte Ema. Sie vermisste ihre Mutter und lebte von einem Tag auf den anderen. Als die alte Großmutter einsah, dass es für sie praktisch unmöglich war das Mädchen zu ernähren und zu versorgen, brachte sie die Kleine in ein staatliches Zentrum für Kinder in Bukarest.

Ein neues und hartes Kapitel im Leben der kleinen Ema begann.

Und damit ein Leben vieler schlechter Tage, denn im staatlichen Zentrum wurde sie von älteren Kindern und von den SozialarbeiterInnen die meiste Zeit und ohne Grund schlecht behandelt. Sie fühlte sich wie in einem Gefängnis. Ema wurde zurückgezogener und verschlossener. Sie reagierte weder auf die Aufgaben, die ihr aufgetragen wurden, noch auf die Strafen, die sie erhielt. Die PädagogInnen brachten das kleine Mädchen in eine Sonderschule, weil sie dachten, sie könne keine Regeln befolgen.

Obwohl ihre intellektuellen Fähigkeiten sehr gut waren, erhielt Ema damals keinen Zugang zu einer normalen Schulbildung. Ihre ersten vier Klassen verbrachte sie in einer Sonderschule, in der sie praktisch nichts lernte. Ein sehr unglücklicher Start für die Bildung eines Kindes. Ema harrte fast 2 Jahre in der staatlichen Einrichtung von Bukarest aus.

An einem Tag im Sommer fasste sie allen Mut zusammen. Als die Atmosphäre und die Behandlung im Zentrum für sie unerträglich wurden, sprang Ema über den Zaun und lief so schnell sie konnte davon. Dieses Mal fand die Polizei die nun Neunjährige auf der Straße und brachte sie zurück zu ihrer Großmutter. Aber Ema konnte dort nicht bleiben. Also bat sie ihre Großmutter: 

„Bitte Oma! Wenn Du mich weggeben musst, bring mich nicht mehr in das Zentrum. Bring mich zu Concordia zurück. Dort will ich leben, weil mich die Menschen dort gut behandeln.“

Ema kehrte zu CONCORDIA zurück und lebte 5 Jahre im St. Paul Zentrum.

Ema hat ihre Kindheit im St. Paul Zentrum sehr gut in Erinnerung. Sie fand dort all die Aufmerksamkeit und Zuneigung, die ihr all die Jahre fehlten. Sie war noch immer schüchtern und zeigte keine Emotionen, aber sie begann mit Gleichaltrigen zu spielen und sagte offen, was sie mochte und was nicht. Das Gefühl keinen Ausweg zu haben und gefangen zu sein legte sich rasch. Bei CONCORDIA wurde sie endlich gehört und war Teil einer Familie.

In der Weihnachtszeit in St. Paul brachten die Menschen den im Zentrum lebenden Kindern Geschenke vorbei. Ema erinnert sich, dass sie eines der drei Kinder war, die in den Ferien nicht nach Hause gingen. Während die anderen Weihnachten mit den Familien verbrachten, hatte Ema keine Eltern in ihrem Leben.

Eines Tages besuchte eine Frau namens Loredana das Zentrum und traf Ema.

Auch Loredana war eine der BesucherInnen in St. Paul, die Geschenke brachte. Sie sprach viel mit Ema und lernte extra ein Gedicht für sie. Die beiden mochten sich so sehr, dass Loredana Ema über Weihnachten zu sich nach Hause einlud. Diese Tage wurden zu Wochenenden und anderen Feiertagen, die das kleine Mädchen in einer echten Familie, Loredanas, verbringen würde.

Je mehr sie Ema kennenlernte, desto sicherer war Loredana, dass Ema zu klug für eine Sonderschule war. So kümmerte sich Loredana darum, dass Ema in eine normale Schule versetzt wurde.

Als das St. Paul Center geschlossen wurde, kam Ema auf die "Farm der Kinder" in Aricesti, einem der größten Kinderzentren von CONCORDIA. Es war ein Ort mit Häusern für Kinder, die in der ruhigen Landschaft eines Dorfes in Ploiesti errichtet waren. Wenn sie die Orte, an denen sie in den letzten 14 Jahren gelebt hat, bewerten müsste, würde Ema sagen, dass die "Farm der Kinder" in Aricesti der beste war.

Sie erinnert sich an die Jahre, in denen sie viel draußen gespielt, geschaukelt und ferngesehen hat. An manchen Abenden kletterte sie auf eine Rutsche und sprach stundenlang mit ihrer Freundin Alina über Gott, die Schule und über das Leben.

Während der High School lebte Ema in einer familienähnlichen Wohngruppe in Ploiesti.

Sie war eine sehr gewissenhafte Schülerin und gehörte zu den Besten ihrer Klasse. In ihrem letzten Jahr an der Oberstufe entschied sich Ema, die Zulassungsprüfung für das Studium an der Fakultät für Sozialhilfe der Universität Bukarest abzulegen. Im Semester 2019/2020 begann ihr erstes akademisches Jahr und es war das Jahr, in dem sie von Bukarest weg in das CONCORDIA "Casa luda" zog, wo sie weiterhin von CONCORDIA mit Essen, einer Unterkunft und auch finanziell unterstützt wird.

Sie hat ihre Mutter seit ihrer Kindheit nicht mehr gesehen. Aber Ema lebt ihr eigenes Leben, mit Ehrgeiz und Zuversicht. Sie hofft, dass nun die guten Jahre in ihrem Leben kommen werden.

Sie möchte einen Job finden und Geld sparen, um sich die Hypothek für ein Haus leisen zu können. Sie träumt davon, nach Abschluss ihres Universitätsstudiums, die beste und einfühlsamste Sozialarbeiterin zu sein. Sie will allen schutzbedürftigen Kindern ihr Fachwissen, ihre Unterstützung und Vertrauen geben, damit diese Kinder - so wie Ema selbst - ihr Schicksal mit etwas Anleitung, Entschlossenheit und nachhaltiger Arbeit ändern können.

Ema ist eines der Kinder, die mit der Unterstützung von CONCORDIA ihr Leben grundlegend zum Besseren verändert haben. Es gibt viele Fälle bei CONCORDIA die Emas Schicksal ähneln.

Ema im Interview über ihre Leben bei CONCORDIA

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